Hannah Maidorn ist Presse-Referentin bei Fairtrade Deutschland. 1992 wurde Fairtrade Deutschland gegründet und das Fairtrade-Siegel gehört mittlerweile zu den wichtigsten und bekanntesten Siegeln im Nachhaltigkeitsbereich. Was genau eigentlich Fairtrade ist und wie viele Fairtrade-Siegel es im Fair Fashion Bereich gibt, erzählt Hannah Maidorn im Interview.
Was genau ist Fairtrade?
Fairtrade ist ein Standardsetzer und Siegelgeber. Das bedeutet, als gemeinnützige Organisation handeln wir nicht selbst mit Waren, sondern vergeben das Fairtrade-Siegel für Produkte, die die internationalen Fairtrade-Standards, also die Spielregeln des fairen Handels, erfüllen. Kontrolliert wird die Einhaltung mithilfe von regelmäßigen Audits durch die unabhängige Zertifizierungsgesellschaft FLOCERT.
Welche Fairtrade-Siegel gibt es für Kleidung und Textilien?
Es gibt das Fairtrade-Baumwollsiegel, das Rohstoffsiegel für Baumwolle und das Fairtrade-Textilsiegel.
Das Fairtrade-Baumwollsiegel ist das bekannteste der drei und am häufigsten auf Baumwollprodukten zu finden. Es zeigt Verbraucher*innen an, dass die Kleidung zu 100 Prozent fair gehandelte und physisch rückverfolgbare Baumwolle enthält. Farmer*innen bekommen einen Mindestpreis, der die Kosten einer nachhaltigen Produktion deckt. Zusätzlich erhalten sie einen finanziellen Aufschlag für Gemeinschaftsprojekte, die Fairtrade-Prämie. Ausbeuterische Kinderarbeit, gentechnisch verändertes Saatgut und gefährliche Chemikalien sind beim Anbau der Baumwolle verboten. Für die Weiterverarbeitung gelten die Kernarbeitsnormen der International Labour Organisation (ILO).
Beim Fairtrade-Rohstoffsiegel für Baumwolle darf die Rohware bei der Weiterverarbeitung mit konventioneller Baumwolle vermischt werden. Für die Fairtrade-Produzent*innen macht das keinen Unterschied: Sie profitieren auch hier regelkonform von Mindestpreis und Prämie. Ausbeuterischer Kinderarbeit, gentechnisch verändertes Saatgut (GMO) und der Einsatz gefährlicher Chemikalien sind ebenfalls verboten.
Der Fairtrade-Textilstandard geht deutlich weiter und deckt die gesamte textile Lieferkette ab – vom textilen Rohstoff bis zum fertigen Kleidungsstück. Der Standard gilt als umfassendster am Markt. Nur verantwortungsvoll produzierte Fasern wie beispielsweise Fairtrade-Baumwolle dürfen für die Weiterverarbeitung verwendet werden. Beschäftigte erhalten innerhalb von sechs Jahren ein sogenanntes „living wage“, einen existenzsichernden Lohn. Darüber hinaus ist die Stärkung der Arbeiter*innen ein wichtiges Kernelement.
Welche Voraussetzungen müssen Hersteller erfüllen, um ein Fairtrade-Siegel zu erhalten?
Hersteller müssen die Fairtrade-Standards erfüllen. Nur dann dürfen sie Produkte mit dem Fairtrade-Siegel auszeichnen. Dazu gehört unter anderem, dass sie ihre gesamte Lieferkette offenlegen. Außerdem verpflichten sie sich zur Zahlung des Fairtrade-Mindestpreises für Baumwolle und der Fairtrade-Prämie.
Textilproduzenten, die nach dem Textilstandard zertifiziert sind, müssen sicherstellen, dass alle Beschäftigten innerhalb von sechs Jahren einen existenzsichernden Lohn erhalten. Zudem muss Vereinigungsfreiheit garantiert werden. Auch Trainingsangebote, Sicherheitsmaßnahmen und funktionierende Beschwerdemechanismen müssen in den Produktionsstätten umgesetzt werden.
Welche deutschen Marken tragen bereits ein Fairtrade-Siegel?
Fast 130 Lizenzpartner bieten in Deutschland Fairtrade-Baumwollprodukte an. Darunter bekannte Fair Fashion Marken wie Dedicated, Nudie-Jeans, ThokkThokk oder Melawear, aber auch Unternehmen wie Ernstings Family. Wenn es wirklich „nur“ um [rein] deutsche Marken geht, sind es rund 80.
Was erhofft ihr euch für die Zukunft der Mode- und Textilindustrie?
Dass mehr Unternehmen beim Fairtrade-Textilstandard mitmachen und sich zertifizieren lassen. Nur wenn die Hersteller bereit sind, sich an den Kosten zu beteiligen, lassen sich existenzsichernde Löhne langfristig umsetzen.
Bei Verbraucher*innen hat sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan, zumindest was das Mindset angeht. Fair Fashion hat es längst aus der Öko-Ecke geschafft. In Umfragen geben viele Verbraucher*innen sogar an, beim Kauf explizit auf Siegel und Kennzeichnungen zu achten. In der Praxis erleben wir allerdings, was wir schon von Lebensmitteln kennen: Den sogenannten „Attitude Behaviour Gap“. Im Zweifel entscheidet sich die Mehrheit aktuell noch oft für das billige Fast-Fashion-Shirt. Wünschenswert wäre, dass Verbraucher*innen künftig auch an der Kasse zum nachhaltigen Produkt greifen und Fast oder Ultra Fast Fashion-Hersteller gar keine andere Wahl haben, als umzudenken und ihre Produktion fair zu gestalten.
Bildquelle: © TransFair e.V. / Tobias Thiele, Didier Gentilhomme, Anand Parmar, Sean Hawkey